Gegen die Wand

Soviel gleich vorweg: Natürlich ist Gegen die Wand einMuss-Film. Aber zu meckern hab ich trotzdem einiges und da das auch immer ammeisten Spaß macht …, voila, here we go.

Also: es geht los mit den Selbstmordversuchen beiderProtagonisten: der eine ist ein haltloser Trinker, der sich – was genau ihndazu bringt, erfährt man nicht – ins Auto setzt und … sic, gegen die Wandfährt. Die andere ist ein Opfer traditioneller türkischer Frauenerziehung: u.a.brach ihr Bruder ihr anlässlich ihres ersten Händchenhaltens das Nasenbein.Hier geht’s schon los: ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht auchzutiefst traditionsbewusste Türken gibt, die ihrer Schwester so etwas niemalsantun würden, weil sie, Traditionsbewusstsein hin oder her, sehr wohl in der Lagesind, ihre Schwester zu lieben – einfach weil es ihre Schwester ist – m.a.W., ihr Bruder ist nichts als ein Sadist,der sich seine Vorwände und Anlässe dort sucht, wo er sie findet. Doch im Filmsind das die Auswüchse der Traditionsverhaftung und zwar schlicht undergreifend deshalb, weil er so was ‚Krasses‘ braucht, um die nicht minderkrasse Reaktion plausibel zu machen: Selbstmordversuch und Scheinehe, um demElternhaus zu entkommen und die neugewonnnene Freiheit anschließend zu, wie manso schön sagt, flüchtigen Männerbekanntschaften zu nutzen.

Allerdings lässt sie ihre ordnende Hand auch in seinemHaushalt und an seinem Äußeren walten, und das tut ihm mehr als gut. Auchverstehen sich die beiden immer besser und so lässt die Liebe nicht lange aufsich warten. All das ist flott und mitreißend erzählt, garniert mit wirklichköstliche Szenen: auf dem Weg zur Brautwerbung bei der Familie taucht einProblem auf, das den Erfolg der Unternehmung elementar in Frage stellt, (ist inden Pralinen Alkohol?) und wie er beim Kartenspielen den neuen Schwagern eine Lektion überverheiratet in den Puff gehen erteilt (Warum fickt ihr nicht mal eure eigenenWeiber?): So cool wär ich auch gern mal.

Als dann einer ihrer One Night Stands es nochmal bei ihrversuchen will, verzichtet sie nicht nicht etwa nur dankend, sondern kleidetdie Abfuhr in eine abschätzige Beurteilung seiner Bettqualitäten. Leider istder Typ eine Kiezgröße, die alles erträgt – nur nicht eine solche Bemerkung.Stracks sucht er Cahits Stammkneipe auf undlässt einen unsäglichen Sermon vom Stapel, dessen Tenor lautet: Polier mirbitte die Fresse, ich brauch das jetzt. Cahit hört sich das alles mit wahrer Engelsgeduld an, bis er dem Wunschschließlich nachkommt: leider sitzt der Typ so ungünstig, dass ein Rechtshändermit einer Kreisbewegung den Hinterkopfoder das Genick treffen muss – nicht das Gesicht. Nur deshalb endet das ganzetödlich, Cahit bleibt garnichts andreres übrig, als ihm eine reinzuhauen und derTyp hätte nur andersrum sitzen müssen, und der gleiche Schlag hätte ihmlediglich das Nasenbein oder die Schneidezähne öhm, versehrt. So abermuss … für 5 Jahre in den Bau. Mit Eifersucht/Affekt, wie in denInhaltsangaben des Films immer zu lesen, hat das also wenig zu tun.

Jetzt wirds problematisch für den Film: sie verspricht, aufihn zu warten und geht nach Istanbul. Ihren Freiheitsdrang kann sie dort schongarnicht ausleben: im Hotel ihrer Cousine gilt für Mitarbeiter dieprotestantische Ethik (ora et labora) und die Opiumhöhle, in die sie entflieht – sagen wir, dort ergeht es ihr auf keinen Fall besser.

Nun beschließt sie scheinbar, Freiheit mit Sicherheit zutauschen, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Allerdings erfährt man darübernichts, stattdessen erscheint wieder Cahit auf der Bühne. Er leiht sich von seinemFreund (einer sehr hübschen Nebenfigur – gute Freunde sind doch wirklich waswert) Geld, sucht und findet sie, verbringt eine Nacht mit ihr – sie ist es, die anschließend sagt: wir fahrnwieder nach Hause (=Hamburg). Der Konflikt erhält also jetzt She’s so lovely’scheDimensionen, nur dass man über ihre Befangenheiten praktisch überhaupt nichtsweiß: liebt sie ihren Man (warum redet sie dann Cahit ohne jede Not von nachHause fahren) , ist es das Sicherheitsbedürfnis oder ganz allgemein, was ist esdenn, was sie in Istanbul hält? Um das alles angemessen darzustellen,müsste der Film mindestens eine Stunde länger dauern (und gegen She’s so lovelykommt man eh nicht an) aber das Ende ist IMHO schwach und unbefriedigend. Doch die Damen Herold / Zocholl belieben hier anderer Meinung zu sein, deshalb hier weiterlesen. Mir gefällt er von Istanbul an nicht mehr so richtig. Aber die erste Hälfte ist super, also: anschauen.

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Kommentare

Eine Antwort zu „Gegen die Wand“

  1. micha

    „She’s so lovely’sche Dimensionen“ ist ein prima Ausdruck. Du solltest öfter ins Kino gehen und hier noch mehr schreiben.

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