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Hardcore; Paul Schrader

see www.imdb.com/title/tt0079271/ for details

Ein hübsches kleines Roadmovie über einen Vater, der seine Tochter sucht. Wie es sich für diese Spezies von Filmen gehört, hat er eine Partnerin an seiner Seite, die nicht ganz zu ihm passt, deren Lebenseinstellung, Werte etc. pp. beträchtlich von den seinen abweicht, die er also nicht nur kennen- sondern auch akzeptieren lernen muss. Die hier gegebene Konstellation macht es ihm nicht ganz leicht, doch am Schluss …

Naja – nicht ganz.
Zunächst mal ist dies ein Film, der aus Gründen, über die zu spekulieren durchaus lohnen könnte, nicht in Programmkinos läuft. D.h., wir müssen in den DVD-Verleih unseres Vertrauens und dort zielstrebig das, ich betone: Paul Schrader-Fach ansteuern. Dort steht eine Hülle, auf deren Rücken auf schwarzem Grund in roter Schrift "Hardcore" zu lesen ist. Dann der Klappentext: "Hardcore! Ein Vater sieht rot. Ein Film über die Abgründe der Pornoindustrie."
??? Welcher Idiot brennt einen Sat1-Film der Woche auf DVD? Und welcher Verleih nimmt sowas ein sein Programm?
Leute, ich sagte bereits: ihr seid im Paul Schrader-Fach, also munter zur Kasse und das Ding ausgeliehen.

Bei Paul Schrader-Rezensionen wird gern vorausgeschickt: er ist in einem calvinistischen Elternhaus aufgewachsen, hat seinen ersten Kinofilm mit 18 gesehen, also als seine Eltern es ihm nicht mehr verbieten konnten, dann das Calvin College in Grand Rapids, Michigan (Calvinisten-Hochburg) besucht und schließlich PhD auf der UCLA. Anschließend der major breakthrough mit Taxi Driver und American Gigolo.
Hardcore ist seine erste Regiearbeit – der Protagonist lebt in Grand Rapids, gehört der Dutch Reformation-Church an, der Film beginnt mit einer hitzigen Diskussion über die Existenz der "unpardonable sin". Es geht um Pelagius vs. Augustinus, d.h. freier Wille vs. Abwesenheit desselben –> Arminianismus vs. doppelte Prädestination, i.e. die Möglichkeiten des Individuums, selbt etwas zu seiner Errettung beizutragen (Werkgerechtigkeit). Luther hatte dazu gesagt: Arbeit ist Gottesdienst im Alltäglichen, den Erfolg derselben muss man Gott anheim stellen. Calvin erweiterte das, indem er den Erfolg der Arbeit als Zeichen des Wohlwollens Gottes wertet, der Protagonist wird im Film ‚Pilgrim father‘ genannt, er selbst drückt das so aus: I’m Middle Class, dazu: I believe that I’m redeemed, d.h. in diesem Zusammenhang: hard working man, einer der arbeitet, um an den Früchten seinen Kontostand im Himmel abzulesen, dem Zweifel nicht erlaubt sind, weil Zweifel vom Teufel kommen – im Calvinismus darf man sich seinen Freunden nicht anvertrauen, denn das wäre ein Ausdruck von Selbstzweifel. Für diesen Mann ist Erfolg in der Arbeit kein Selbstzweck und v.a. er ist sehr gefährdet in seiner theologischen Fundierung, die lautet: es gibt keinen freien Willen und damit auch keine guten Werke, jedenfalls keine, die irgendeiner ursprünglichen Intentionalität entspringen. Wie will jemand, der die Früchte seiner Arbeit genau beobachtet, um daraus den Zustand seiner Gnadenwahl abzulesen, auf Dauer die "Werkgerechtigkeit" bestreiten, wenn Anstrengung in der Arbeit nun mal i.d.R. positive Ergebnisse zeitigt und Vernachlässigung dieser Anstrengung das Gegenteil, mithin Intentionen auch zu entsprechenden Ergebnissen führen, Handlungen Konsequenzen haben.

Daher die beständige Abwehr des Pelagianismus, daher TULIP (s.u.), daher beständige Selbstkontrolle. Von der sicherlich entsprechend beeinflussten Atmosphäre im Hause VanDorn erfährt man nichts, jedenfalls nicht direkt (dort wirkt er nicht unsympathisch, man beachte allerdings, wie er in einer Szene seiner Tochter Kristen in den Mantel hilft – die stirbt fast vor Ablehnung), dafür gibt es eine aufschlussreiche Szene auf Arbeit, wo, nebenbei bemerkt, Fabrik, Räume, Arbeiter, kurz: alles so genau mit der Kamera eingefangen ist, wie man es eben nur in wirklich guten Filmen zu sehen kriegt: Eine Designerin hat seiner Firma ein Logo entworfen, ihm gefällt das Blau nicht. Er weiß genau (und sagt das auch): sie ist die Designerin, er bezahlt sie deshalb, weil sie davon mehr versteht als er – I wouldn’t hire a display designer if I didn’t trust her taste –> wenn sie sagt: Ich habe daran wochenlang gearbeitet, das Blau ist genau richtig, müßte er ihr schon qua professione nachgeben.

Tut er nicht, kann er nicht, der Kontrollfreak in ihm ist stärker als die Einsicht: er bringt sie dazu, ihre wochenlange Arbeit in die Tonne zu treten (@ Micha: der als Chef: guaranteed to drive you nuts 😉 ) und dann noch so zu tun, als wär sie davon überzeugt.

Nun fährt die Tochter in ein Ferienlager der Dutch Reformation Jugendgruppe, von dem sie nicht zurückkehrt. Die Polizei in LA rät ihm, einen Privatdetektiv hinzuzuziehen. Das ist der Private Dick-typisch schmierige Mast (Peter Boyle, spielt IIRC auch in Taxi driver, er ist es, der ihn im ganzen Film pilgrim nennt, s. Mayflower 1620 oder wann das war) – hier läuft der Chef/Kontrollfreak wieder zu Höchstform auf: Mast fragt, was für ein Typ Tochter Kristen war: Model daughter, never any impure thoughts, no fucking around
VanDorn: You better watch your language. Mast, mit überlegener Herablassung: er sei ein Privat-Detektiv. Van Dorn könne sich ja einen Chorknaben aus Grand Rapids bestellen: I’ve been there – it’s full of those scumbags.
Van Dorn, Ellbogen auf dem Tisch, Hände verschränkt vorm Mund, zu faul, sie runterzunehmen – für einen möchtegern-hartgesottenen Privatdetektiv aus de harten Großstadt LA, der glaubt, er könne sich über Christen aus Grand Rapids lustig machen, ist das zuviel der Mühe. Hier reicht die simple Frage: Who’s paying you?
Mast (überrascht): You do
Van Dorn (gelangweilt): That’s right
Das wars, Mast entschuldigt sich, beteuert sogar, dass er ein ‚Practitioner of Mind Science‘ sei – Van Dorn und sein Schwager gucken sich an: na super
Später wird Van Dorn Mast aus seinem eigenen Appartment rausschmeißen – wenn dieser Film eine Literaturverfilmung wäre, wärs die von Max Weber, Protestantische Ethik

Mast hat bald heraus, was es mit Kristens Verschwinden auf sich hat: er gräbt einen Pornofilm aus, in dem sie mitwirkt. Daraufhin fliegt VanDorn nach LA, um die Tochter im Milieu zu suchen. Er weiß – genausowenig wie der Zuschauer, wie die Tochter dort gelandet ist: freiwillig oder unfreiwillig. Der Zuschauer hat aber einige Hinweise: der Vater ein Kontrollfreak, sowohl die Polizei als auch der Detektiv bezweifeln gewaltsame Entführung. Nachdem er VanDorn den Film vorgespielt hat, sagt er ihm: If you find her, maybe you wouldn’t even want her back. Diese Hinweise verdichten sich im weiteren Verlauf auf eine für den Vater höchst peinsame Weise.

Jetzt kommen die "Abgründe der Pornoindustrie": VanDorn bekommt einen unmittelbaren Eindruck von Masts Ermittlungsarbeit, bevorzugt daraufhin die eigene Initiative (vertraue niemandem), stolpert also plan- und ahnungslos durch das Milieu und merkt bald, dass er so nicht weiterkommt. Sein einziger Anhaltspunkt: der männliche Darsteller aus dem Film, den Mast ihm gezeigt hat. Er inseriert also: männliche Porno-Darsteller gesucht. Wie er da mit Cowboy-Hut und Schnäuzer in einem Hotelzimmer sitzt – ich hätte ihn fast nicht wierdererkannt – sehr lustig, überhaupt ist die ganze Milieu-Recherche lustig, nichts für Leute, die auf "Abgründe" hoffen (die gucken auf Sat 1 "9mm" mit Nicolas Cage)
Er sitzt also im Hotezimmer, sieht absolut zum Wegschmeißen aus und wartet auf Bewerber – in der Hoffnung, dass auch der männliche Darsteller aus Film-mit-Tochter kommt. D.h. er muss alle anderen irgendwie abwimmeln, möglichst ohne dass die was merken. Das ist mit seiner Pornoerfahrung keine leichte Aufgabe ;-))
Auftritt Erster (nach erstem Eindruck für Porno-Regisseure zu gebrauchen). VanDorn sagt: Ja, sehr gut, wir rufen sie an. Bewerber ungläubig raus, das entscheidende Kriterium hat VanDorn doch noch gar nicht gecheckt.
Auftritt Long Dick Black (der Künstlername eines schwarzen Darstellers): kommt rein, VanDorn (großer Fehler, aber was soll er machen): you’re not the type we’re looking for. Mr."Black" fassungslos: Not the type? I did more porno movies than you’ve ever seen – (womit er zweifellos recht hat), holt gleich von sich aus seine Topqualifikation raus – Ablehnen unmöglich, vanDorn: "Sorry Mr. Black …" "You just don’t wanna hire niggers, that’s all"
Dritter Bewerber, zum Glück ein Weißer. VanDorn: You’re not the type …, Bewerber ist deutlich anzusehen, was er von diesem Typentheater hält (sind wir hier beim Casting von La Strada oder was?), fragt: Don’t you wanna see my stuff??? VanDorn denkt: der will mir doch jetzt nicht alle seine Filme zeigen, ich hab heut noch was andres vor, fragt genervt zurück: "my stuff?", der Darsteller ungläubig (was ist denn das für einer?): "Yeah, my stuff", und führt seine Hand zum Hosenstall – das muss sich VanDorn jetzt angucken, wenn er sich nicht völlig unglaubwürdig machen will: "ok, of course", natürlich fällt ihm nach der sicherlich beeindruckenden Demonstration (der Zuschauer sieht natürlich nix) nichts andres ein als wieder: "Sorry, we’re looking for a different type", Bewerber kopfschüttelnd raus. Unser Held weiß jetzt, welches Kriterium in solchen Bewerbungsgesprächen das einzig maßgebliche ist – der Mann kann einem wirklich leid tun in dem Film.
(Fortsezung folgt)


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