Unter Kontrolle – ein Teller Suppe mit dem Teufel?

Der Dokumentarfilm Unter Kontrolle von Volker Sattel kündigte Bilder zwischen Science Fiction und Industriefilm an, auf dem Plakat steht was von Archäologie der Atomkraft. Ja, es gibt darin ScienceFiction-Perspektiven zu sehen, von Archäologie aber keine Spur, der Film bleibt an der Oberfläche. Die Methode ist eigentlich ziemlich interessant: es wird auf eigene Kommentare verzichtet, zu den beeindruckenden Bildern gibt es nur Aussagen von Menschen, die in oder für die Atomkraftwerke arbeiten. Monologe oder Ausschnitte aus Antworten auf Fragen, die man nicht erfährt. Das System Atomkraft soll sich durch eigene Aussagen entlarven, der Film dokumentiert schweigend. Das funktioniert überhaupt nicht, nach wenigen Minuten hatte ich bereits das Gefühl, dass die Filmemacher einen Teller Suppe mit dem Teufel gegessen haben, und sich die Bilder damit erkauft haben, keine Stellung zu beziehen. Wir hören absurde Erklärungen zum Sicherheitssystem, das besser sein soll als die Menschen, die es bedienen, denn jeder mache etwa zehn Fehler in der Stunde. Wir sehen erbärmlich veraltete Anlagen mit einem Gehirn in der Leistungsfähigkeit eines modernen Mobiltelefons, das als Autopilot Anlagen unter Volllast fährt, die auf Abschaltung und Verschrottung warten. Wir lernen, dass es einige Anlagen gibt, die nie in Betrieb genommen wurden, und heute Ersatzteillager für die anderen sind. Wir sehen auch, wie der Vergnügungspark im ehemaligen Schnellen Brüter in Kalkar aussieht, und ja, ein Rummelplatz im Kühlturm, das ist ScienceFiction! Störfälle werden erwähnt, über den Ausgang erfahren wir nichts. Das einzige Highlight in der Tonspur ist die Bemerkung, die Atomenergiebehörde in Wien sei so etwas wie der Vertrauensarzt, dem die Kraftwerke ihre Gebrechen erzählen, der ansonsten zum Schweigen verpflichtet ist, und nur gute Ratschläge geben darf. Der Film zeigt auch die gesetzlich auferlegten Vernebelungsanlagen, mit denen Flugzeugangriffe erschwert werden sollen, was absurd ist, wenn man längst jeden Punkt der Erde mit einem billigen GPS-Chip orten und ansteuern kann.

Was der Film auslässt – und das hätte sich gut als Textkommentar einblenden lassen – sind die harten Fakten. Die Kosten, die Energiebilanz, die Störfälle, die Toten, das fehlende Endlager, die Vernetzung, die Transporte. Keine Silbe darüber, wie und wo überall Siemens KWU diese Anlagen gebaut hat, und auch nicht – und hier bin ich nachtragend – dass das angeblich sichere System Mitte 2010 einen Schnitt in die Achillesferse bekommen hat: der Virus Stuxnet, der speziell Siemens-Steueranlagen befallen kann, die nicht nur in Atomkraftwerken sondern in anderen Energieeinrichtungen, Wasserversorgungen usw. im Einsatz sind. Stuxnet zielte nach heutiger Kenntnis auf die Urananreicherungsanlagen im Iran, und war erfolgreich darin, die Arbeit dort um mehrere Jahre zu verzögern. Seine Auftraggeber waren vermutlich die USA, getestet wurde der Wurm nachweislich in Israel. Auch wenn man das für unwichtig hält, bedeutet es, dass Siemens-Anlagen der Serie SCADA und damit Atomkraftwerke in aller Welt ein riesiges, bekanntes Sicherheitsloch haben, das vermutlich nie mehr geschlossen werden kann: was in moderner Software nachgebessert werden könnte, ist in diesen Anlagen hart verdrahtet, und das ist leider kein Scherz. Hier hätte der Film meiner Meinung nach ansetzen müssen, und das wäre ScienceFiction und Archäologie gewesen: Hal 9000, der nicht in Rente gehen kann.

Schade, dass der Film nicht einen Funken des Schreckens zeigt, der in seinem Thema liegt. Auch wenn es ein Stilmittel ist, den Zuschauer selbst Widersprüche entdecken zu lassen, ist das Ergebnis zu mager und nicht angemessen. Warum ein Filmprojekt aus Österreich auf die naive Karte gesetzt hat, bleibt mir ein Rätsel – war der Preis für diese Bilder so hoch?

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Kommentare

Eine Antwort zu „Unter Kontrolle – ein Teller Suppe mit dem Teufel?“

  1. micha

    Tolle Besprechung, genau so war’s!

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