Es gibt Dokumentarfilme, bei denen die Filmemacher wissen, dass sie da ein tolles Thema haben, die Kamera draufhalten und glauben, das genüge, um einen guten Film zu machen – wasdann oft gar nicht stimmt. So ist es bei La Vierge, Les Coptes, et Moi überhaupt nicht, im Gegenteil hatte ich am Anfang noch nicht den Eindruck, dass klar ist, wo es huingehen soll, und das ist in diesem Fall gut.
Der Regisseur ist Franzose ägyptischer Herkunft, seine Familie koptische Christen, während ihm Religion nicht so viel sagt. Bei einer Weihnachtsfeier bringt die Tante ein Video mit, auf dem eine Marienerscheinung zu sehen sein soll. Er sieht nichts, seine Mutter aber schon. Das ist der Ausgangspunkt, er will einen Film über Marienerscheinungen in Ägypten machen. So ganz kann ich zu diesem Zeitpunkt sein Erkenntnisinteresse nicht nachvollziehen, aber es ist kurzweilig zuzusehen, wie er versucht, Kontakte zu knüpfen, Leute zu befragen, koptische Geistliche zu interviewen und was nicht alles.
Filmisch bringt ihn das nicht wirklich voran, und so beschließt er, etwas zu tun, was ihm die Mutter eigentlich verboten hat, und wofür der Produzent kein Budget vorgesehen hat: er fährt in den Süden, wo bei der alljährlichen Marienprozession die Jungfrau immer mal wieder erscheint. Verboten ist ihm das, weil er dort seine Verwandten trifft, die die Mutter auf keinen Fall im Film haben will.
Die Verwandten sind aber ganz wunderbar, er filmt sie natürlich doch, sonst wüssten wir das jetzt ja nicht. Als der Produzent ihm die weitere Unterstützung aufkündigt, springt die Mutter ein, nur, damit ihr verpeilter Sohn den Film überhaupt zum Abschluss bringt. Der hat inzwischen die Idee, eine Erscheinung zu inszenieren. Eine Kandidatin wird gesucht, das Setting besprochen – schweben soll sie! Er bringt die Leute dazu mitzumachen, selbst seine Mutter lässt sich überreden und nimmt die Sache energisch in die Hand.
Ob nun die Jungfrau – bei anderen Gelegnehiten – tatsächlich erscheint, oder ob es gar Beweise dafür gibt, kann natürlich nicht geklärt werden, aber die Inszenierung ist wirklich sehr unterhaltsam und ganz nebenbei erfahren wir richtig viel: wie die Leute sich Maria konkret vorstellen, dass die Jungfrau auch Muslimen erscheint, einiges über das Verhältnis zwischen Kopten und Muslimen, dass eigentlich alle Brüder sind und Differenzen nichts als Politik, einiges über die Landwirtschaft in einer armen Gegend und über den Humor der Leute. Was immer das ursprüngliche Interesse des Films war, das Ergebnis hat mir sehr gut gefallen.
Kommentare
3 Antworten zu „Ägyptische Marienerscheinungen: La Vierge, les Coptes, et Moi“
Ich fand, es war ein Film über die Leute in Südagypten, die man am Ende wirklich zu kennen glaubt und als sehr individuelle Charaktere wahregenommen hat.
Besonders schön fand ich die Szene, in der der Regisseur das dicke Puschelmikrofon ins Bild zieht und seiner Oma erklärt, was das ist und was das tut. Eine einfache, aber rührende Sache.
Letztlich ist in dem Film ja eigentlich auch noch ein richtiges Wunder passiert, so wie es bei einer Marienerscheinung sein soll: Der Regisseur hat alle seine Verwandten und das halbe Dorf (inclusive einer Jungfrau) dazu bekommen, in einem ziemlich abgedrehten Film mitzuspielen, den hinterher nicht wir (das internationale Festivalpublikum), sondern die Leute selbst zu sehen bekamen, und auf den sie offensichtlich sehr stolz sind.
An einer Stelle sagt der Regisseur, dass er das Gefühl hat, seinen Verwandten, die zufällig nicht wie er im reichen Frankreich aufgewachsen sind, etwas geben zu müssen. Ich finde, das hat er mit dem Film wirklich getan.
Ja, genau – dein Kommentar trifft den Film besser, als der ursprüngliche Eintrag. Genau das war’s! Danke, Ulla.
DEN Film merke ich mir auf jeden Fall für später – im Programm war er glatt an mir vorbeigegangen. Aber vielleicht kommt er ja doch in die Kinos… wobei ich auf der Seite des Vertriebs docandfilm.com gerade entdecke, dass die auch „Golden Slumbers“ unter Vertrag haben – und mindestens zwei weitere Filme, die auf der diesjährigen Berlinale zu sehen waren – also: hoffen wir auf FSK und Co!