Le sommeil d’or

Dies ist der Dokumentarfilm, der den Anstoß dafür gegeben hat, dass in diesem Jahr drei  Filme aus der kurzen aber goldenen Ära (ca. Mitte der 1960er bis 1975) des kambodschanischen Kinos im Forum nach über 40 Jahren ihre internationale Premiere feiern. 

Der 29-jährige Regisseur hat im Lauf der Recherchen herausgefunden, dass sein Großvater (den er nicht kannte) einer der Handvoll wichtigsten Produzenten dieser Zeit war – niemand in der Familie hatte darüber gesprochen, es war "Zufall", dass er ins Filmgeschäft gegangen ist. 

Seine Familie wurde, wie viele kambodschanische Familien, über die
ganze Welt verteilt, nachdem 1975 die roten Khmer 1975 den Bürgerkrieg
gewonnen und alle Kinos und Theater kaputt gemacht hatten. Für das Kino
waren bis dahin ca. 400 Filme entstanden, von denen heute nur noch ca.
30 existieren – der Rest wurde vernichtet oder ging verloren. Die Filme
existieren aber noch in den Köpfen der Kinogänger von damals (die viele
Geschichten nacherzählen können) und in den Film-Liedern, die bis heute
zum Pop-Repertoire der Karaokebars und Radiosender gehören.

Was ein Nischen-Feature für Asia-Cineasten hätte sein können, ist ein
ganz toller Film geworden, in dem es um die Kraft von Bildern und
Geschichten geht, um die Macht des Kinos und auch (wie ich finde),
darum, wie zäh, persistent und langlebig die so oft als "Wegwerf-Kultur"
beschimpfte Popkultur sein kann, und wie stark sie Erinnerungen
mitprägt.

Da es – bis vor wenigen Wochen kaum verfügbare Filmbilder aus den
Original-Filmen gab, zeigt die Doku nicht die üblichen Fimausschnitte –
sehr klug bemerkt der Regisseur, dass damit spürbar wird, wie groß die
Leerstelle im kulturellen Erbe ist, wenn man Filmausschnitte eben nicht mit
wenigen Klicks auf Youtube findet (die Lieder, wie gesagt, aber schon).
Statt dessen besuchte er Menschen, die damals mitgewirkt haben – einen
Produzenten, der nach 1975 als Taxifahrer in Paris arbeitete, einen
Regisseur, der heute noch die die Geschichten aller seiner Filme aus dem
Stand erzählen kann, eine Diva, die heute Tanzstunde gibt, Fans, die
jeden Film kennen und sich gegenseitig Darsteller und Handlung abfragen.
die Filmgeschichten sind dramatisch und märchenhaft, die
Lebensgeschichten geknickt und grausam. 

Aber es geht auch um verschwundene Orte – Studios und Kinos, und hier
gibt es eine unglaubliche Sache zu sehen: das größte Kino Pnom Phens,
das 1979 stark zerbombt und von Flüchtlingen als Zuflucht genutzt wurde –
und zwar bis heute. 116 "Haushalte" (d.h. wieviele Personen? 350? 500?)
gibt es heute in diesem Kino, jeder hat sich mit Plastikplanen und
Pappkisten sein kleines Abteilchen abgetrennt, in dem dauerhaft gewohnt
wird, mit Fernseher und Gaskocher, aber wohl ohne Klos, mit Löchern in
Wänden und Decke und riesigen Abfallhaufen in den Ecken. In dem kaputten
Kino spielen also heute mindestens 116 Filme… Und manchmal fällt
durch die Löcher oben im Dach die Sonne wie ein Projektionsstrahl in die
Halle über dem Slum. Wow.

Der Film ist der Beweis dafür, dass man zu jedem (und ich meine:
jedem) Thema einen Film machen kann, der über das Thema hinausweist und
auch Leuten etwas zu sagen hat, die mit der Sache an sich nicht
unmittelbar etwas zu tun haben. Der Regisseur ist noch keine 30 und
schon so ein kluger Film! Man darf gespannt sein, was da noch kommt.

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Kommentare

2 Antworten zu „Le sommeil d’or“

  1. micha

    Genau so war’s, der junge Regisseur hat so klug erklärt, was er da gemacht hat, er ist mit den Protagonisten des alten Khmer-Kinos so respektvoll und einfühlsam umgegangen, das war schon toll. Unbedingt erwähnen möchte ich noch den großartigen Ly Bun Yim, den wir ja schon von Montag Abend kannten – der durfte in dem Film nämlich einige Special Effects von damals nachbauen, und das Bild, wie er plötzlich mindestens fünf mal im Studio steht ist verblüffend und bringt das Publikum auch mal zum Lachen. Sehr wunderbar.

    1. Uta

      … auch die rückwärts fahrenden Mopeds am Anfang sind sehr sehr schön und so mancher andere intelligente Quer-Bezug aufs eigentliche Thema. Mir hat besonders imponiert, dass der Film nicht überhöht, obwohl es zum Teil um sehr harte Erfahrungen und Lebens-Bedingungen geht – und dass eben deshalb auch sichtbar wird, dass kambodschanisches Kino nicht wegen Arthouse oder Intellektualität interessant war/ist, sondern weil es gut gemachtes Unterhaltungskino war – und dann mit dem wirtschaftlichen Erfolg alles (reichlich vorhandene) Kreative oder Intellektuelle einherging. Also das, wie’s immer ist… hat aber Ulla vermutlich auch schon besser auf den Punkt gebracht 🙂

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