Vaters Garten

Der Regisseur portraitiert seine Eltern, zu denen er keinen besonders guten Draht hat – vor Beginn des Films hatten sie sich zwei Jahre lang nicht gesehen, und die Eltern beschreiben ihn als "Rebell", für den sie sich schon manchmal "geschämt" hatten.

Entweder, der Grund für die Entfremdung zwischen Eltern und Sohn sollte nicht Thema des Films sein, oder die Entfremdung hat vorwiegend politische (im weitesten Sinne) Gründe. Der Vater hat ein reaktionäres Geschlechterbild und ist rechthaberisch und penibel. Sein Lieblingswort ist "normal". Die Mutter hat sich ihm immer untergeordnet und findet "Freiheit in Jesus." (leider hat Jesus strenge Regeln, wer ins Paradies darf, und beim Sohn ist sie sich da nicht so sicher). Gemeinsam haben die beiden eigentlich nichts. Trotzdem sind sie 62 Jahre verheiratet geblieben und haben sich "eigentlich an jedem Hochzeitstag gewundert, dass sie noch zusammen sind." 

"Scheidung ist Freiheit" las ich kürzlich als Zitat einer ägyptischen Aktivistin des arabischen Frühlings. Wie wahr.

Der Regisseur hat 20 Interviews mit den Eltern geführt, die werden
verfremdet in den Film eingebaut: die erste Verfremdung bestand aus
einem Puppenspiel, in dem die Eltern Plüschhasen sind und der Regisseur
nicht. Das Puppenspiel war prima, nur hätte der Regisseur auch ein Hase
(oder sonst ein Tier) sein müssen – das gebietet der Respekt. Die zweite
Verfremdung bestand darin, dass die Aussagen der Eltern von
professionellen Sprechern auf Hochdeutsch vorgelesen werden. Der Film
ist aus der Schweiz, sie sprechen also in Wirklichkeit Schweizerdeutsch.
Ich verstehe das Anliegen, trotzdem ist es ganz schön hart, die Aussagen der Eltern auf diese Weise zu "entmenschlichen" bzw. zu verallgemeinern.

Insgesamt konnte ich die angekündigte "Annäherung"
zwischen Sohn und Eltern nicht wirklich feststellen. Sein Unverständnis
kam immer wieder durch die Puppe und die Musik heraus.  Aber jenseits der "politischen" Dinge (bei denen rollt natürlich jeder mit den Augen, aber Hand aufs Herz: so außergewöhnlich sind diese Ansichten in der Generation unserer Eltern ja nicht) habe ich nicht gelernt, was zwischen Eltern und Kind das Problem war. Zumindest die Mutter fand ich eigentlich recht
liebenswert. 

Aber vielleicht ist eine unbefangene Bewertung auch
so schwierig, weil große Teile des Publikums sich über die Eltern
totgelacht haben. Das hat der Regisseur wahrscheinlich nicht gewollt,
aber so kam es. Und da tendiere ich dann sofort auf die Seite der
Ausgelachten.

(Hat den Preis der Tagesspiegel-Leserjury bekommen)

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