The Midnight After

Vor einigen Jahren war Fruit Chan mit Dumplings auf der Berlinale, der war klasse, also wollte ich auch unbedingt The Midnight After sehen. Es soll sich um die Verfilmung eines Bestsellers handeln, mir kam der Film aber eher vor, als wäre er auf einer Party total besoffener oder breiter Filmschaffender entstanden, die sich gegenseitig in bescheuerten Ideen übertreffen wollten. Das Ausdenken hat sicher furchtbar viel Spaß gemacht, aber ob es die Sache Wert war, den Quatsch auch umzusetzen, weiß ich nicht so recht.

Die Ausgangsidee ist wunderbar, ein Minibus fährt durch einen Tunnel, und als er auf der anderen Seite rauskommt, sind plötzlich alle anderen weg. Alle Straßen sind leer, keine Autos, keine Menschen, nix. Die Busbesatzung ist beunruhigt, denn niemand ist telefonisch zu erreichen, obwohl die Leitungen ok scheinen. Sie gehen ihrer Wege, tauschen aber sicherheitshalber noch ihre Nummern aus.

Die Studenten, die zuerst ausgestiegen sind, trifft es zuerst: einer fühlt sich schlecht, zittert, die Kumpels wollen Hilfe holen, finden aber niemanden. Als sie zurückkommen, sitzt der erste als schmurgelndes Skelett auf dem Sofa. Aha, es wird also eklig.

Ein anderer junger Mann aus dem Bus hat sich zu Hause sein Fahrrad geholt, um nochmal nach Kowloon zurück zu fahren und nach seiner Freundin zu sehen. Gerade als er an der Universität vorbei radelt, rennen die verbliebenen drei Studenten auf ihn zu, instinktiv weicht er ihnen aus – und sie brechen zusammen und zerkrümeln zu Asphaltbröseln. Ok, es ist also ansteckend. Am nächsten Morgen treffen die Busreisenden wieder zusammen, versuchen drauf zu kommen, es passiert ist. Alle haben einen Anruf mit grässlichen Geräuschen erhalten – einer versucht Morsezeichen auszulesen und stückelt den Text zusammen. Ein anderer erkennt „Major Tom“ von David Bowie, und weil alle anderen damit nichts anfangen können („Kein Wunder heißt es immer, dass Hongkong keine Kultur hat“), singt er vor. Das ist eine super Performance. Leider geht er kurz darauf in Flammen auf.

Auch ok. Aber dann wird’s richtig wüst, und ab da war ich verstimmt. Eine Mitreisende wird tot aufgefunden, offensichtlich vergewaltigt, aber auch mit ekligen Flecken auf der Haut, die sich kurz drauf als ansteckend erweisen. Der Vergewaltiger wird von den anderen Überlebenden nach relativ kurzer Diskussion hingerichtet, und zwar, indem jede und jeder mit dem Messer auf ihn einsticht. Ja, es gibt Filme, in denen es Thema ist, unter welchen Bedingungen Menschlichkeit unter ausreichend Druck abhanden kommt, aber das war hier nicht das Thema. Vergewaltigung und anschließende Hinrichtung finde ich nicht lustig. Überhaupt nicht. Auch dann nicht, wenn der Hingerichtete gleich als Zombie wiederkommt und mit einem Wok ausgedotzt wird.

Danach wird nur noch eine Absurdität an die nächste gereiht, und ja, die „Sicherheitsausrüstung“ aus dem Supermarkt mit roten Duschhauben und Malermasken ist lustig, ja, auch wie die gepanzerten Fahrzeuge der gasmaskierten schwarzen Gestalten (hä, wo kamen die jetzt her?) abgehängt werden. Der Junkiezombie mit dem Beil in der Schulter darf wieder einsteigen, und dann fährt der Bus einfach in den Sonnenaufgang. Ohne Auflösung. All die angedeuteten Spuren und Hinweise, der japanische ehemalige Mitschüler, der ausgerechnet Creepy Yuki hieß, das geisterhaft wehende Haar der jungen Frau Yuki, Hinweise auf Fukushima, Epidemien, Anrufe aus der Zukunft usw. werden einfach über Bord geworfen, und der Film ist aus. Als hätte das besoffene Filmteam irgendwann die Lust verloren, und sei einfach abgehauen. Uns doch egal, dass da Leute im Kino sitzen, die können jetzt aufstehen und gehen, hier gibt’s nichts mehr zu sehen. Nichts gegen offene Enden, aber das fand ich doof.

Von Ulla kommt der wertvolle Hinweis, dass ich das alles vermutlich einfach nicht richtig verstanden habe, wie diese schöne Rezension auf Perlentaucher zeigt: Dispersion von Sinn. Ach so.

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Kommentare

3 Antworten zu „The Midnight After“

  1. Ulla

    Liebe Micha, sei nicht so undankbar, wenigstens ist in Deinem Film was passiert! Bei mir reiht sich in diesem Jahr eine dialogfreie (oder -arme) Bildmeditation an die andere. Kein Wunder ich schlafe ständig ein… Nächstes Jahr gehe ich bei Dir mit.

  2. Ulla

    Und ausserdem hast Du den Film einfach nicht richtig verstanden! Lies mal hier bei den Perlentauchern, da ist von konseqentem Nihilismus bis zum Kommentar auf Hongkongs politischen Status alles dabei:

    http://www.perlentaucher.de/berlinale-blog/403_dispersion_von_sinn%3A__fruit_chans_%27the_midnight_after%27_%28panorama%29.htm

    Bei sowas kõnnen wir natürlich nicht mithalten…

    1. micha

      Vielen Dank für diesen Link, den baue ich gleich noch klickbar oben ein. Tja, vermutlich habe ich es einfach nicht richtig verstanden. Ansonsten hast du ja recht: gelangweilt habe ich mich nicht.

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