Gegen alle Prinzipien: Die Geträumten

Es gibt bestimmte Dinge, die ich in Filmen eigentlich prinzipiell nicht sehen will: Beziehungsdramen im Allgemeinen und zwischen Intellektuellen im Besonderen, zu viel Gelaber, zu viel Kunscht oder künstliche Settings. Biopics sind auch nicht so meins.

Die Geträumten von Ruth Beckermann  besteht aus zwei Schauspielern in einem Aufnahmestudio, die den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan lesen, in dem sich deren Beziehungsdrama über 10 Jahre abzeichnet. Der Film enthält also so ziemlich alles, was beim Programmbauen sofort zur Abwahl führt. Warum war ich trotzdem da?Als alles programmtechnisch schon unter Dach und Fach war, hab ich beim Rumsurfen zufällig auf den Filmausschnitt geklickt, der auf der Programmseite eingestellt ist. (Filmclips sind was für Weicheier. Der richtige Berlinale-Fan macht sein Programm auf der Basis einer Länderangabe und einer Synopse in halber SMS-Länge. Jawollja!) Und der Clip war so, dass ich spontan alle Prinzipien über Bord geworfen und das Programm (leicht) umgebaut habe, um den Film sehen zu können. Und es hat sich absolut gelohnt.

Was passiert ist nämlich, dass die beiden Lesenden in dem kargen Setting, , mit der – selbstverständlich – eindrücklichen Sprache beim Ringen (von Celan und Bachmann) um Kontakt und um Einander – dass die Beiden also so eine Intensität entwickeln, dass man über anderthalb Stunden richtig gebannt ist. Worte, Gedichte und Gesichter, das ist (fast) alles, was man sieht, und es ist packend wie ein Krimi. Dass das Ganze in einem Aufnahmestudio stattfindet, mit Mikros, Zigarettenpausen, Kantine zwischendurch, erzeugt andererseits genau die Distanz, die man braucht, damit die Intensität nicht zu viel und damit stumpf wird, und damit man das Außergewöhnliche  bis zum Schluss wahrnehmen kann. Dass die Gesichter genauso schön anzusehen sind wie die Worte zu hören, erhöht natürlich das Vergnügen.

Und Frau Beckermann hat sich auch die Mühe gemacht, dem Beziehungsdrama einen zeitgeschichtlichen Kontext zu geben (nämlich die Bewältigung der Schuld am Holocaust), so dass der Film auch hier über die reine Beziehungsnabelschau hinausgeht.

Ganz großes Kino war das !

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