Zweimal Arktis

Dieses Jahr bin ich zweimal in die Arktis gereist: in der Sparte NATIVe – Indigineous Cinema mit Qapirangajuq: Inuit Knowledge on Climate Change von Ian Mauro und Zacharias Kunuk, das zweite Mal im Kulinarischen Kino mit Kivalina von Gina Abatemarco.

In Qapirangajuq erzählen die „Elders“, die alten Respektspersonen in ihrer Sprache Inuktitut von den Veränderungen, die sie während ihrer Lebenszeit beobachtet haben. Das ist sehr beeindruckend. Irgendwer hat in diesem Film dramatische Bilder vermisst – schmelzende Gletscher und sowas – aber mir haben die Erzählungen, einige Außenaufnahmen und ein bisschen historisches Material, das zu den Erzählungen gezeigt wurde, vollkommen gereicht. Die Alten erzählen, was sie von ihren Eltern und Verwandten als Kinder gelernt haben, wie sich die Dinge verändern, das Eis dünner ist als früher, das Fell der Robben kranke Stellen hat und leichter reißt als früher. Sie beobachten Dinge, die ich als Zuschauerin im ersten Moment kaum glauben kann: dass die Sonne, wenn sie im Frühling zum ersten Mal am Horizont erscheint, an einer anderen Stelle auftaucht, als „früher“ – im anschließenden Gespräch werden wir aufgeklärt, dass das wirklich so ist, allerdings nicht, weil die Erde aus der Achse geraten ist, sondern weil die Temperaturänderungen der Atmosphäre eine andere Lichtbrechung verursachen.  

Spannend fand ich ein grundlegendes Misstrauen gegen die „Southerners“, die ja keine Ahnung haben. Auch nicht Biologen und Naturschützer, die die unglaublich lärmempfindlichen Eisbären mit Helikoptern stören und ihnen Ohrclips und Halsbänder anlegen, die sie bei der Jagd behindern und so dazu beitragen, dass die Eisbären hungern. Was ich ebenfalls unglaublich spannend fand, war ein Bewusstsein für die stattfindenden Veränderungen und eine Bereitschaft, sich den Veränderungen anzupassen.

Kivalina ist ein Ort in Alaska, an dem ehemals nomadische Inuit Anfang des letzten Jahrhunderts zwangsangesiedelt wurden. Der Staat drohte mit Gefängnis, wenn die Kindern nicht zur Schule geschickt würden – noch heute klingt es ziemlich bitter, wenn ein älterer Mann darüber spricht. Der Haken ist: Kivalina wurde auf einem schlammigen Stück Land am Wasser gebaut. Jetzt wo der Untergrund während des Jahres immer kürzere Zeit gefroren bleibt, ist die ganze Siedlung gefährdet. Seit zwanzig Jahren gibt es Pläne zur Umsiedlung, aber stattdessen schüttet die Regierung Felsbrocken auf, um den Ort gegen die Wellen zu schützen – einem ordentlichen Sturm dürfte diese Mauer aber kaum standhalten. Es gibt Szenen vom Dorfleben, aus der Kirche, von einer Party im Gemeindesaal und politischen Statements, viel Schlamm und großen Baggern, die Steine aufstapeln. Außerdem gibt es Essen zu sehen: Da wird ein Wahl und Robben zerlegt und Stückchen davon sofort roh als Delikatesse verteilt. Essen wird im Gemeindesaal verteilt, ein Vater kocht seinen Kindern Tütennudeln. Das Essen ist das Interessanteste am Film, davon hätte ich gerne mehr gesehen.

Filmisch ist Kivalina längst nicht so stark wie Qapirangajuq, das kommt vielleicht daher, dass die Filmemacherin zwischendurch den Schwerpunkt wechseln musste, wie sie im Gespräch danach erzählt. Ich bin nicht sicher, ob ich das als „Entschuldigung“ durchgehen lasse, denn das macht eben den Unterschied zum anderen Film aus. Dieser hier ist eher „Fortbildung für Alles“ (danke Ulla, das ist ein großartiger Ausdruck!), während Qapirangajuq darüber hinaus echtes Kinostaunen verursacht.

Ganz neu übrigens die Nachricht, dass für dieses Frühjahr ein Rekord-Ozonloch über der Arktis bevorsteht: bei heute.de, dem Alfred-Wegener-Institut und Science.

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