Ararat

Ein Film im Film – das ist spätestens seit Truffauts ‚Amerikanische Nacht‘ eine spannende Gattung. Zusätzlich wird ein historisches Tabuthema, der Genozid der Türken an den Armenieren (1915 – 1918) thematisiert. Wir laufen also enthusiastisch ins Brotfabrik Kino.

Charles Aznavour -spielt einen berühmten Regisseur, Edward Saroyan. Saroyan will einen historischen Film über das Massaker an den Armeniern drehen.
Die Kunsthistorikerin Ani ist spezialisiert auf die Arbeiten des armenischen Malers Arshile Gorky und wird vom Filmteam zur wissenschaftlichen Beratung des Films herangezogen. Anis Sohn Raffi liebt die ehemalige Stieftochter seiner Mutter, ihr Vater hat sich vermutlich aus Liebeskummer wegen Ani umgebracht.
Das sind noch nicht alle der ineinander verflochtenen Nebenhandlungen, die sich alle um das zentrale Thema drehen: die Schlacht der Türken gegen die Armenier und ihre Umsetzung im Film Saroyans.

Egoyan ist 1960 geboren, von einem Alterswerk kann man da nun wirklich noch nicht sprechen. Dennoch lässt vieles in diesem Film an die typischen Nachteile eines Alterswerkes denken – der Regisseur vertraut nicht auf einfache Mittel, aus seiner großen Zauberkiste wird alles zum Einsatz gebracht, was beeindruckend und schockierend ist, das amerikanische Kino grüßt ein paar Mal zu oft. Bei einem Film mit dieser Thematik ist das nicht nur ärgerlich, sondern oft regelrecht abstoßend.

Überladen schon die Fülle der Handlungsstränge, alles wird bedient, keine Lebensbereich ist dem Regisseur fremd. Die Personage wird in ihrem stereotypen, manchmal steril wirkenden Umfeld vorgestellt.
Saroyan der alternde Regisseur wagt sich endlich an sein Lebensthema; dieser Mann ist dermaßen milde und altersweise geworden, daß eigentlich überhaupt nichts mehr von ihm kommt.
Die rassige Kunsthistorikerin Ani könnte als historische Beraterin die notwendigen Diskussionen über den Film in Gang setzen, sie zeigt auch ein gewisses Unbehagen, ausdiskutiert wird das allerdings nicht.
Die Liebesgeschichte ihres Sohnes mit ihrer Stieftochter bietet Anlaß zu wichtigtuerisch geheimnisvoller Einführung, ätherischen Rückblenden und Bettszenen des Sohnes mit der Stieftochter, viel mehr konnte ich darin nicht sehen.

Das größte Ärgernis ist der Film im Film selbst – Schlachtszenen, Tränendrüse, Blut, Tod, Vergewaltigung, alles Böse, was der Krieg zu bieten hat in Studio-Cinemascope-Pracht. Die Perfektion ist hier etwas zu perfekt geraten: die Szenerie ist so liebevoll ausgestaltet, daß man sich in eine Puppenstube versetzt glaubt.
In die gleiche ästhetische Kategorie fallen die Szenen mit dem Maler: die Biographie des armenischen Malers Arshile Gorky, einziger Überlebender seiner Familie im Genozid, dient dem Regisseur Saroyan als Aufhänger für seinen Film. Der Maler im Atelier wird herrlich in Szene gesetzt – mattes Licht, Pastellfarben, zum Schneiden dicke Melancholie, jede Einstellung ein impressionistisches Gemälde. Wozu braucht der Film das?
OK, soviel zum Negativen; was hat der Film Gutes zu bieten?
Eine vergessene Thematik wird zurückerinnert, manchmal werden richtig spannende Fragen gestellt: leugnen die Türken wirklich den Völkermord an den Armeniern? Und was bedeutet das für einen ‚heutigen‘ Türken und seinen Umgang mit heutigen Armeniern? wie würden wir reagieren, wenn das Thema Holocaust in unsrer Erziehung/Schule etc. nie ein Thema gewesen wäre und plötzlich würden wir damit konfrontiert?
Die Art und Weise, wie diese Fragen unbeantwortet bleiben ist fast atemberaubend, da bleibt das eigene Hirn gefragt!

Fazit: Egoyan beherrscht sein Handwerk, Sehgewohnheiten werden ästhetisch perfekt bedient, ebenso (fast) sämtliche Thematiken, die das Kino erfinden kann; wohlfeile Effekthascherei hat in einem Film mit der Thematik Völkermord jedoch nichts verloren. Leider überwiegt das die positiven Eindrücke bei weitem, deshalb: 4-

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