Gegen die Wand

Statt einer Besprechung von Gegen die Wand (IMDB) hier die (fast vollständige) Wiedergabe einer kleinen Korrespondenz zwischen Gebhard und mir per E-Mail. Es ging los mit Gebhards Frage: „Sag mal, hast du Gegen die Wand gesehen und könntest ihn evtl. empfehlen, bzw. abraten? In eurem Kinoblog stand er natürlich nicht ;-( Die beim Surfen gefundenen Beschreibungen fand ich nicht so richtig neugiererweckend. Also, was meinst du? (Freundin von mir will da rein)“.

M: >>>>>… angefangen [etwas zu schreiben] habe ich schon, aber es ist immer viel schwerer etwas über tolle Filme zu schreiben als über mittelmäßige oder solche, bei denen es ordentlich was zu meckern gibt.
Gegen die Wand fand ich einen ungeheuer starken Film, und die Stellen, die ich nicht plausibel fand (dass Sibel sich entweder umbringen *oder* den nächstbesten heiraten will, um ihrer Familie zu entkommen), mochte ich gar nicht so richtig bekritteln, weil ich die Schauspieler/-innen total klasse fand.

G:>>>> … aber erstmal sag mir, was du von dem Ende hältst: sie kommt einfach nicht. Als ob der Regisseur keine Lust mehr gehabt hätte. Oder die Zeit eben um. Jedenfalls passt das IMHO garnicht zu ihr und auch nicht zu dem Film. Claudia, meine reizende Begleitung, hat es aber verteidigt. Also, was meinst du?

M:>>> Hey, der Mann war mindestens fünf Jahre im Knast, was erwartest du? Und als er entlassen wird, hat er genau einen – jahrealten – Brief von ihr, der nur sagt, dass sie in dem Moment, als sie ihn schrieb, wirklich davon überzeugt war, dass sie auf ihn warten würde. Aber wer kann das schon sagen – und das in ihrem Alter. Da sind ein paar Jahre sehr lang!
G: >> Völlig klar, aber das ist nicht das Problem

M: > Fünf Jahre weg sein ist nicht das Problem?

G: Na ja, nicht bzgl. des Vorwurfs, den ich ihr mache

M: >>> Ich fand den Schluss sehr passend. Sie trifft ihn nochmal, liebt ihn immer noch – aber so ist das eben mit potentiellen Lieben: da könnte schon mehr sein, aber sie hat eben auch ein anderes Leben. Wer weiß, vielleicht ist der Vater ihrer Tochter ein supernetter und lustiger Typ? Wer sagt, dass sie den nicht auch lieben kann? Wer sagt, dass es richtig wäre, so mir nix dir nix zum ersten Typen zurückzukehren (den ich durchaus sehr toll fand – insofern wäre ich damit auch sehr zufrieden gewesen).
G: >> s.o.

M: >>> Und ich fand es richtig gut, dass er zwar auf die Möglichkeit, sie könnte noch kommen, hofft, aber dann eben doch ohne weiteres Gezeter alleine abfährt.

G: >> Bleibt ihm auch kaum was andres übrig. Wer nach einmal zu doll gezetert 5 Jahre in den Bau geht, ist davon wahrscheinlich erstmal kuriert

M:> Oh hoppla – du glaubst an die resozialisierende Wirkung des Strafvollzugs? 😉 Nein, darauf brauchst du nicht zu antworten, ich stichle nur und denke das nicht wirklich.

G: >> (wieso geht er eigentlich in den Bau dafür? 5 Jahre kriegt man so ungefähr für Mord ohne niedere Beweggründe, nicht für Totschlag. Aber das ist eine andere Frage, und noch dazu einen von denen, mit denen man bei diesem Film nicht weit kommt. Aber dazu unten mehr)

M:> Stimmt, in Sachen Plausibilität gebe ich dir Recht.

G: >> Das Problem, wie ich es sehe, ist: Im Prinzip hat er es ihrer Art von Traditionsbewältigung zu verdanken, dass ihm das passiert. Das wird man ihr zwar nicht ernsthaft vorwerfen wollen (es sei denn, man weiß, wovon man redet, weil man selbst schon Brüder hatte, die einem anlässlich des ersten Händchenhaltens das Nasenbein brachen: das dürfen wir wohl gottseidank ausschließen), immerhin aber wird man soviel sagen können, dass er nach all dem vielleicht doch eine etwas konsistentere Behandlung verdient hätte.

M: > Hmm – ob ihr nun a) ausgerechnet unter allen Dingen Konsistenz gegeben ist, und es b) jemals im Leben darum geht, wer was verdient, wage ich zu bezweifeln.

G: zu a) Hübsch gesagt: ganz egal ist ihr die aber auch nicht, wie man u.a. an der Entscheidung für Mann und Kind ablesen kann. Aber verlassen wir dieses Terrain, über Moral zu streiten ist ziemlich müßig.

G: >> Gestern: wir fahrn nach Hause (= Hamburg), heute dann doch nicht? Das geht nach der Vorgeschichte einfach nicht mehr, mögen die Gründe fürs Dableiben noch so gut sein. Wenn sie so gut sind, warum haben sie dann nicht gereicht, sie von vornherein von der Zusage abzuhalten?

M: > Weil es gut möglich (und ich glaube auch nicht wenig verbreitet) ist, sich Dinge zu wünschen und dann doch genau das Gegenteil zu tun.

G: >> So, das ist jetzt sozusagen die moralische Seite der Angelegenheit. Es gibt dann noch eine mehr filmimmanente, die mich stört: das Ende passt nicht zum Film. Vernunftgründe, Sachzwänge, Kompromisse, Mittelweg statt Extreme, …

M: > Guter Vorwurf: Mangel an Extremen – aber ich glaube nicht, dass er trifft. Ihr Problem scheint mir nicht der Kompromiss zu sein, denn ich sehe keinen. Ihr Problem ist eher, dass sie alles will, aber das nicht geht.

G: ??? Das ist doch genau der Punkt, an dem Kompromisse unausweichlich werden

G: >> dieses, wie du oben so schön geschrieben hast: „aber so ist das eben mit potentiellen Lieben: da könnte schon mehr sein, aber sie hat eben auch ein anderes Leben“ das wird den ganzen Film über konsequent ausgeblendet, weswegen du auch die daraus mit Notwendigkeit entstehenden Plausibilitätsaporien „nicht so richtig bekritteln“ mochtest. Jetzt, am Ende, kommt es auf einmal doch. Aber ohne dass der Zuschauer irgendwie darauf vorbereitet wird. Er weiß nichts von der Ehe, von dem Mann, er kriegt den ganzen Film über, sehr imponierend, sehr anrührend, den unbändigen Behauptungswillen und Freiheitsdrang der Heldin (eine richtige Heldin, das meine ich jetzt ganz ironiefrei) vorgeführt, wobei der ganze Plausibilitätskram eben auch nicht so furchtbar essentiell ist, doch jetzt, wo er auf einmal gleichsam zur Hintertür doch hereinkommt, weil der Regisseur ihn einfach braucht, weil er sonst ein Happy End hätte hinzaubern müssen, da soll der Zuschauer sich das alles selber denken,

M: > Dieser Vorwurf trifft in der Tat.

G: >> so wie du es oben getan hast (und desgleichen Claudia nach dem Film – ist doch auffällig, diese voneinander unabhängige Übereinstimmung. Eigentlich kann man das Ende gar nicht anders rechtfertigen, eben weil vom Film selbst nichts dazu kommt). Im besten Fall könnte man noch sagen: Er verlässt sich einfach darauf, dass der Zuschauer das schon hinkriegt – that’s whack.
Und schließlich: die oben von dir dargelegten Gründe verlangen Reflexion – recht sorgfältige Reflexion. Die hat man nicht so einfach den einen Tag und den anderen nicht.

M: > Das finde ich nicht. Um alles zu wollen und sich dann doch irgendwie entscheiden zu müssen, muss man überhaupt nicht besonders reflektiert sein. Ich halte ihre Entscheidung auch nicht unbedingt für vernunftgesteuert – wer weiß, vielleicht wäre es viel vernünftiger mit einem mitzugehen, bei dem zumindest die Zuschauerin fest davon überzeugt ist, dass er „der Richtige“ sein könnte?

G: Gut, dann wüßte ich (als Zuschauer) aber gern, woraus genau die Entscheidung sich jetzt speist. Amnsonsten wende ich meine eigenen Kriterien und Moralvorstellungen etc.pp an und dann kommt eben mein dargelegtes Urrteil bei raus ;-(

M: > Ich gebe aber zu, wenn du anfängst, aus ihrer Sicht zu argumentieren, bzw. sie zu interpretieren, dann ist das Ende wirklich eher schwach (Mist, du hast es geschafft!), aber ich fand den Schluss gerade deshalb gut, weil ihre Position nicht dargestellt wurde – es kam für mich einfach nicht drauf an, ihre Gründe zu kennen. Er kennt sie ja auch nicht, und darum ging’s! Zu sehen ist nur er: er sucht und findet sie – er spürt, es ist noch da (das geht auch nicht weg!) – aber er weiß, dass er nicht wirklich Einfluss aufs Gelingen hat und reist dann doch alleine nach wer-weiß-wo. Und das finde ich wieder sehr plausibel. Man kann sicher verschiedene Dinge für relevant halten – ich finde einfach den Aspekt einer potentiellen Liebe, die *nicht* an innerem Zerfall scheitert, sondern an Gegebenheiten, auf die jemand keinen Einfluss hat, irgendwie stimmig.

G: Sehr schön, dem kann ich auf keine Weise widersprechen.

Soweit unsere Korrespondenz.

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