Cathedrals of Culture

Ein über weite Strecken guter Film: Cathedrals of Culture. Im ersten Teil ist er sogar ganz und gar gelungen, als die Philharmonie vorgestellt wird. Es werden in getrennten Anschnitten ausserdem noch die Russische Nationalbibliothek in S. Peterburg, das Halden Gefängnis in Oslo, das Salk Institute nördlich von San Diego, das Opernhaus in Oslo und das Centre Beauburg in Paris gezeigt. Alles wurde in 3D gefilmt, zum Anschauen gibt es zum ersten Mal vernünftige Brillen.

Ein Untertitel auf dem im Film zu sehenden Titel sagt: von der Seele der Gebäude. Das wurde in fast allen Anschnitten so interpretiert, dass man eine Stimme hört, die aus der Ich-Perspektive des Gebäudes spricht, was bei der Philharmonie ganz reizend ist.

Wim Wenders hat den ersten Abschnitt selbst gedreht, und sich für die anderen Teile andere Regisseure gesucht. Habe eben gelesen, dass 2012 eine zehnteilige Dokumentationsserie vom RBB in Zusammenarbeit mit Arte geplant war, anlässlich des dann doch nicht stattfindenden „Siegeszuges“ von 3D-Fernsehen. Es könnte sein, dass dieser Film jetzt eine andere Verwertung des ersten gedrehten Materials ist, möglicherweise kommt der Zehnteiler später noch.

Um es klar zu sagen: die 3D-Technik, die Herr Wenders ja schon in seinem schönen Film über Pina Bausch genutzt hat, ist für den Genuss dieses Filmes hier nicht zwingend erforderlich. Wir bekommen aber immerhin vorgeführt, dass auch Zeitraffer, eingefrorene Bewegungen und Schwarz-Weiss-Standbilder in 3D ganz wunderbar aussehen können.

Die Philharmonie eignet sich von den dargestellten Gebäuden am Besten für eine filmische Darstellung. Die Stadtmetapher der Erschliessung aus dem Foyer, und die Landschaftsmetapher des Innenraumes gehen wunderbar zusammen mit bewegter Kamera. Wir dürfen Orchesterproben mit Sir Simon Rattle erleben, und auch ein Konzert. Ich staune, wie währenddessen gefilmt werden konnte.

Hans Scharoun darf in einem Schauspieler ab und zu auftreten, wobei das grosse Thema Kulturforum nicht berührt wird, also auch nicht, warum man es bewusst an einem Ort errichtet hat, an dem schon begonnen worden war, Hitlers Germania-Planung umzusetzen.

Der Architekt wird gefeiert als der Schöpfer einer Ikone der Moderne, die auch Massstäbe für Konzerthäuser gesetzt hat. Das mag stimmen für die Idee, das Orchester in die Mitte des Publikums zu setzen. Ein wichtiges Detail wird allerdings unterschlagen: dass Herr Scharoun die Dachform erst in Zusammenarbeit mit dem Akustik-Ingenieur Lothar Cremer gefunden hat. Denn überall dort, wo die Decke mehr als 10 Meter entfernt ist, tritt unweigerlich ein Echo auf. Cremer schlug eine Decke in Form von hängenden sog. „parabolischen Hyperboloiden“ vor. Diese Decke, zusammen mit mehreren Schallsegeln, die über dem Orchester hängen, sind der Dreh- und Angelpunkt der guten Akustik. Es wäre unrichtig, auch diesen Eigenschaft alleine Scharoun zuzuschreiben.

Hatte man gerade das Gefühl bekommen, von der Seele eines Gebäudes informiert zu werden, irritiert der Text zur Russischen Nationalbibliothek in S. Peterburg. Denn hier wird aus mehreren, für russische Ohren bestimmt sehr prominenten, Werken zitiert und das soll sicher poetisch sein. Es führt aber zu einer störenden Trennung von Bild und Text. Man bekommt einen Eindruck, wie eng verschachtelt diese Bibliothek ist, und dass dort ausschliesslich von Hand gestempelt und sortiert wird. Eine tolle Sache, so eine Staatsbibliothek, die zwei Exemplare aller Bücher hat, die in Russland erschienen sind. Man leidet, wenn man die ruppige Behandlung dieser Bücher sieht, und ich habe das Gefühl, dass es sich um eine gigantische Verwaltung verlorenen Wissens bzw. verlorener Kunst handelt.

Dann folgt der ärgerliche Teil des Filmprojektes, die Darstellung des Halden Gefängnisses, dass der Berlinale-Katalog „das humanste Gefängnis weltweit“ nennt. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt, nur weiss ich, nachdem ich diesen Abschnitt gesehen habe, dass der Norwegische Staat um eine sehr staatstragende Darstellung bemüht ist. Wir sehen viele Insassen beim isolierten Freigang in tortenstück-förmigen Bereichen unter freiem Himmel, sowie beim gemeinschaftlichen Basketball. Auch die Einzelzellen werden gezeigt, in denen die Insassen sich einigermassen eingerichtet zu haben scheinen. Doch dann sieht man einen Neuzugang, der in ein leeres Zimmer, z.B. ohne Bettdecke kommt. Dann eine Gruppe von Polizisten oder Wärtern, die Nahkampfuniformen anziehen, ohne dass man erfährt wozu.

Eine Vermutung kommt auf, die eine kurze Recherche nach dem Film bestätigt: Halden ist auch das Gefängnis, in dem Massenmörder Anders Breivik sitzt. Und schon setzt sich das Bild zusammen: ein Gefängnis wird als ein vorbildlich humanes präsentiert, und gleichzeitig wird die Bereitschaft der Polizei gezeigt, für den Fall, dass sich der Fall Breivik wiederholen sollte.

Vor diesem Hintergrund kann der Text nicht von der „Seele“ des Gefängnisgebäudes kommen, denn er ist ein Rechtfertigungsversuch des Staates Norwegen.

Das Salk Institute liegt nördlich von San Diego, und ist das Werk eines richtig berühmten Architekten: Louis I. Kahn, der es 1965 erbaute. Es handelt sich um eine nonprofit-Forschungseinrichtung, die sich mit Genetik, Neurowissenschaften, Molekular- und Pflanzenbiologie befasst. Eingangs wird der Begründer des Institutes und Arzt Jonas Salk gefeiert, der eine Impfung gegen Kinderlähmung entwickelt hat, die er patentfrei zur Verfügung stellte. Aus seinen Gesprächen mit Louis I. Kahn ist das Konzept des Gebäudes entstanden. Wir sehen einige schwarzweisse Filmschnipsel mit Originalton von Herrn Kahn.

Im Prinzip handelt es sich um eine Anlage von mehrstöckigen Gebäuden an einem langen gemeinsamen Platz. Die Gebäude haben grosse, stützenfreie Flächen für Labore, und vorgelagerte kleinteilige Räume für die unabhängigen Forscher. Soweit so gut. Es folgt, dass wie in einer zu lang geratenen Eigenpräsentation Vorteile des Forschens gepriesen werden, die nur wenig mit den Gebäuden, in denen es stattfindet, zu tun haben. Das ist etwas langatmig und die 3D-Technik war für diesen Abschnitt überflüssig.

Die Oper in Oslo ist ein erfreuliches Gebäude, 2008 wurde es fertiggestellt. Laut Wikipedia gleicht der Grosse Saal „in Form, Größe und Struktur dem der Semperoper in Dresden“, was eine Auflage des Bauherren, also des Staates Norwegen, gewesen sein soll. Von aussen hat es die Anmutung von aufgetürmten Eisschollen. in deren Mitte sich ein grosser Block erhebt, der verglast ist und den Blick auf ein eingestelltes Holzobjekt, eben jenen Grossen Saal, freigibt. Wir erfahren, wie das Haus genutzt wird, sehen Garderoben und darin singende Sänger beim Geschminkt werden. Proben und Aufführungen werden gezeigt, sowie die Möglichkeit, dass man von der „tragenden Eisscholle“ aus direkt ins Wasser springen und schwimmen kann.

Auch bei diesem Opernhaus hilft das landschaftliche Konzept der Aussengestaltung, es zu filmen, und der Text integriert sich harmonisch.


Leider gab es keine Bilder mit echten Eisschollen auf dem Wasser. Wenn die dann noch verschneit wären, ergäbe sich das mit dem Entwurf angestrebte Gesamtbild.

Vorhang auf für den letzten Abschnitt, über das Centre Pompidou. Ich habe gelernt, dass man es immer nur Centre Beaubourg nennen sollte, da es keinen Grund gibt, Gebäude, die in der Amtszeit von Politikern entstehen, nach diesen zu benennen. Es wurde 1977 fertiggestellt, und ist aus einer Zusammenarbeit von Richard Rogers und Renzo Piano entstanden, was hier nur heissen soll: es ist von keinem Franzosen.

Der Film zeigt schön, was alles in dieser universellen Maschine möglich ist, von einer Bibliothek bis zu den Ausstellungen auf den vielen grossen, stützenfreien Ebenen.

Es wird versäumt, darauf hinzuweisen, dass die grossen Flächen im Inneren erst dadurch möglich geworden sind, dass die gesamte dienende Technik nach aussen verlegt wurde, Lüftung, Heizung, Rolltreppen usw. Die sprechende Seele sorgt sich darum, ob die Andersartigkeit heute weniger schockieren könne als zur Bauzeit, und Besucher das Interesse verlieren könnten. Es ist aber weniger der Reiz des Anderen, sondern es sind die hier tatsächlich zu sehenden Attraktionen, die weiterhin Millionen von Besuchern jedes Jahr anziehen werden.

Ich kann nicht umhin, auf eine weitere Lücke in der Darstellung hinzuweisen: das Konzept des „umgestülpten Magens“ brachte einige Herausforderungen mit sich, namentlich den Brandschutz der aussen liegenden Stahlkonstruktion. Diese wurde zunächst dadurch zu lösen versucht, in dem man ständig speziell angereichertes Wasser(!) durch die gesamte Stahlkonstruktion laufen liess. Das führte nach einer Weile zu Problemen mit Rost und mit der Zirkulation, weshalb in den 80ern das Gebäude aufwändig saniert werden musste. Ob heute noch Wasser durch die Konstruktion geleitet wird, ist mir allerdings unbekannt.

Mal sehen, ob doch noch eine 10-teilige Fernsehserie, auch ohne 3D, aus diesem langen Film entstehen wird.
Ich würde mir das gerne anschauen, geplant waren noch das Camp Nou Stadion in Barcelona und das Nationalmuseum der Kunst des 21. Jahrhunderts in Rom. Für einen weiteren 3D-Film würde ich die Mezquita in Cordoba vorschlagen…

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Kommentare

2 Antworten zu „Cathedrals of Culture“

  1. Micha

    Wunderbar beschrieben, vielen Dank! Und dann war da noch die kleine Geschichte am Rande, dass nämlich eine Frau beim Rausgehen ihre richtige Brille in den Sammelcontainer warf und mit der 3D-Brille im Haar weiterging, was die freundliche Brilleneinsammlerin aber gleich bemerkte und der Frau laut hinterher rief. Die hat sich aber gar nicht gleich angesprochen gefühlt, so dass letztendlich viele Leute Spaß an der Sache haben konnten.

  2. Ulla

    Ja, vielen Dank für die tolle Beschreibung! Ich kann kein 3D sehen, deshalb hab ich den Film nicht in Erwägung gezogen. Aber im Fernsehen käme er doch sicher in flach?

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