Mon pire ennemi ist ein Experiment. Regisseur Mehran Tamadon will die Möglichkeit erkunden, mit Menschen in Dialog zu treten, die für das System politische Gefangene verhören. Dazu bittet er Exil-Iraner*innen, die aus politischen Gründen im Iran in Haft waren, die Rolle der Befrager einzunehmen. Die ersten sind sehr zögerlich, und das Gespräch bleibt fast nur auf der Metaebene: haben solche Leute ein Gewissen? Wo endet die Zugehörigkeit zum System und wo beginnt Menschlichkeit? Kommt die jemals zum Vorschein? Ist es überhaupt möglich, das herauszufinden?
Die berühmte Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi ist bereit, sich auf das Experiment einzulassen. Schnell wird klar, dass der Begriff Befrager ein Euphemismus ist. Zar kennt die Techniken der Folterer, sie fragt nach persönlichen Beziehungen zu anderen Oppositionellen, nach sexuellen Praktiken, danach, wer wem welche Informationen gibt. Sie zwingt Tamadon, sich auszuziehen, spritzt ihn in der Dusche mit kaltem Wasser nass und lässt ihn in Unterhose nach draußen auf einen Friedhof gehen. Er muss in einer winzigen Toilette übernachten (das wurde erst in der Q&A erwähnt), ständig die Treppe hoch und wieder runter gehen. Dabei fragt Zar ununterbrochen weiter. Die Fragen beziehen sich immer mehr auf den Film, der da gerade entsteht: was soll das? Du willst damit in den Iran? Und dann? Du gefährdest alle, die daran beteiligt sind! Hast Du daran mal gedacht?
Nach zwei Tagen brechen sie das Experiment ab – Mehran Tamadon ist gebrochen. Das Gespräch nach dem Abbruch ist sehr beeindruckend: Zar sagt, sie hätte irgendwann selbst geglaubt, dass er ein Spion sei, und ihr graut davor, wozu sie in ein paar Wochen womöglich in der Lage gewesen wäre. Erst da kommen im Film die Dinge zur Sprache, die sie selbst bei Befragungen erlebt hat: genau diese intimen Fragen, vorgeschobene medizinische Behandlungen, nackt gefilmt werden, Vergewaltigung.
Im Anschluss an die Q&A diskutieren wir weiter, ob das Experiment einfach nur naiv war. Was war nochmal der Zweck? Wollte er wirklich mit so einem Film in den Iran reisen? War es wirklich die Absicht, zu versuchen, an die menschliche Seite der Folterer zu appellieren? Das scheint definitiv naiv. Wir waren uns nicht ganz einig, aber was ich gesehen habe, ist dieses Ergebnis des Experiments: Nein, es besteht keine Chance auf Dialog mit den Folterknechten – ganz im Gegenteil könnte jede und jeder unter bestimmten Bedingungen zu diesen Folterern werden.
Kommentare
Eine Antwort zu „Mon pire ennemi“
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die wertschätzende Würdigung! Langsam beschleicht mich die Ahnung, dass man mit einer Film-Auswahl der diesjährigen Berlinale ein ganzes Friedens-Filmfest organisieren könnte…
Mich erinnert das von Dir Angesprochene an die Diskussionen, die es über Claude Lanzmanns ‚Shoah‘ gab: ’so‘ mit Mit-Tätern zu sprechen sei amoralisch, ihnen Raum zur Rechtfertigung zu geben, das Grauen auszustellen etc. pp.
Es bleibt wohl immer ein schmaler Grad, dafür einen Weg zu finden – und mich erstaunt, in wie vielen Filmen mir auf dieser Berlinale die Suche danach begegnet ist. Ebenfalls experimentell geht es auch ‚De Facto‘ an…