Das war der bisher beste Berlinale-Tag. Ich fange hinten an: Head Käed von Peeter Simm bekommt meinen Spielfilmwanderbären weiter gereicht. So ein schöner Film! Ich bin noch ganz gerührt. Es war eine Litauisch-Estländische Koproduktion, die zum Teil in Riga, zum Teil in der erfundenen estischen Kleinstadt "Furnier" (weil es da eine Furnierfabrik gibt) spielt. Die Personen sind alle sehr eigen und (bis auf den doofen Polizistensohn, den die Hauptdarstellerin aber dennoch toll findet) sehr sympathisch, die Bilder und Farben wunderschön – die Aufnahmen von der Brücke ins Wasser und vom Wasser zurück auf die Brücke oder die Zahnräder in der Fabrik. Und dass sie dann zusammen mit dem kleinen Jungen diesen idyllischen Ort, wo es ihr so gut gefallen hat, verlässt, um ihre Freundin aus der Klinik zu befreien ist so ein schöner Schluss.
Jetzt muss ich doch tatsächlich meine Bären aufteilen und den Dokubären einführen – ganz schön großzügig diese Saison! Aber vielleicht darf ich mich ja einfach später noch entscheiden. Alt om min Far von Even Benestad zeigte die Familie des Filmemachers von sehr nahe (viel mehr als die in meinen Augen komplett unecht wirkende Nähe in Hezi). Ich habe vielleicht noch nie so einen Film gesehen, wobei ich gestehen muss, dass mir der Sohn zwischendurch ziemlich unsympathisch war, als er seinem Vater Vorwürfe machte, die ich eines 26-Jährigen einfach unwürdig fand. Allerdings ist es dann andererseits sehr mutig, solche Vorwürfe zuzugeben, indem sie im Film drin blieben. Ich war froh, dass Ulla und Bärbel auch in dem Film waren, denn Ulla hat das, was ich am Sohn nicht mochte, ziemlich klug relativiert. Merkwürdig fand ich, dass aus dem Publikum extrem persönliche Fragen kamen – nur weil sie in einem sehr offenen Film mitgemacht haben, werden die dargestellten Personen doch nicht ganz und gar öffentlich.
Der Anfang heute früh war mit Women hai pa (Shanghai Panic) ein echter Flop, der Regisseur Cheng Yusu ein kleiner Aufschneider, der kritische Fragen mit "dann hast du eben meinen Film nicht verstanden" abtat. Wenn er die Geschichte von Mian Mian (Untergrundschriftstellerin – was für ein alberner Beruf!) zu einem Kurzfilm gemacht hätte, hätte es vielleicht interessant werden können – aber nachdem die Handlung aufgebraucht war, hat er einfach nochmal so viel "aus seinem Herzen" dran gehängt – kropfunnötig, banal, belanglos. Tja, zur Zeit ist das Phänomen "Chinesischer Untergrundfilm" so hip, dass es ausreicht, dass eine oder einer chinesisch aussieht und eine DV-Kamera durch die Gegend schwenken kann (wackeln ist wichtig), um auf ein Festival eingeladen zu werden. Vermutlich sind den Leuten, die Filme aussuchen durften, die größten Wichtigtuer eben am meisten aufgefallen.
Nach diesen vom Schicksal gebeutelten und sich durchs langweilige Leben treiben lassenden Shanghaier Kids, fand ich Francisca von Eva López-Sánchez extrem wohltuend: es ging um Verantwortung. Der Protagonist wird vom Geheimdienst erpresst und glaubt, er könne die Situation kontrollieren, scheitert aber spätestens in dem Moment, als er die Pistole (die Francisca heißt – bescheuerter Filmtitel) annimmt, auch wenn er sie nicht selbst benutzt. Was ich nicht ganz verstanden habe: was die junge Aktivistin an diesem älteren Trauerkloß fand, dass sie sich in ihn verliebt. Komisch. Das Ende war nicht so richtig überraschend, aber stimmig: sie zieht wieder in den Kampf, er kann nicht mehr und bleibt im Grenzgebiet alleine zurück, wo er aber vom Sohn des vom Geheimdienst getöteten Genossen als vermeintlicher Verräter mit Francisca erschossen wird. Ein echter Film.
In der U-Bahn saß eine Frau mit einem marmorierten rosa-gelben Filzhut und einer sehr zotteligen Pelzjacke, die aß eine Saitenwurst (ich weiß, die heißen hier anders) und ein Brötchen und las in einem Buch, dessen Sprache ich nicht identifizieren konnte – auch eine Geschichte.