Berlinale 2003 Round-up

Die letzten drei Festspiel-Tage sind irgendwie im Chaos des Lebens verschütt gegangen; völlig unverdient, denn da gab es mehr als Mittelmaß zu sehen:

Ausgerechnet Mon voyage d’hiver, ein intellektueller Franzosenfilm mit Kunstliedern und Lyrik-Rezitationen, hat mir sehr gut gefallen (und das mir! Doku-Fan reinsten Wassers!) Es war ein Film über Deutschland, das ist schon mal spannend. Dann war es noch ein Film übers Altwerden, das geht auch jeden an. Und dann war es noch ein melancholischer Film über vergangene Lieben. Im Gegensatz zu Empathy wurden hier aus drei Ebenen ein ganz toller Film, in dem sich persönliche, gemeinschaftliche und politische Geschichte immer wieder perfekt ergänzt und bebildert haben. Und das alles inmitten der schönsten Winterbilder. Sehr schön. Leider ein Kommen und Gehen im Arsenal, dass man gar nicht in Ruhe gucken konnte.

Danach gleich ein weiterer Höhepunkt: Morning Sun, Doku (!) über die Kulturrevolution in China.

Dazu gibt es eine Geschichte: Anfang der 90er Jahre brachten mir Axel und Bert ein schweres Metall-Feuerzeug aus China mit. Vorne drauf war der Kaiserpalast, und wenn man es aufklappte, spielte es eine Melodie. Axel erklrte mir, das Lied ginge "Der Osten ist rot, die Sonne geht auf, China hat einen neuen Mao geboren". Das Lied wurde mit der Zeit ziemlich nervig, so dass Bert dann eines Tages das Feuerzeug aufgeklappt und in den Kühlschrank gelegt hat; dort blieb es dann, bis die Batterie alle war. Aber das Lied kann ich heute noch pfeifen.

Jedenfalls, der Vorhang zu "Morning Sun" im blöden Babylon ging auf, und es waren ca. 2000 Chinesen zu sehen, die mein Feuerzeuglied sangen und dazu tanzten! Das war ein guter Beginn. Das Stück wurde von den Filmemachern als Ausgangspunkt genommen, um zu erklären, wofür die Kulturrevolution gut war (sein sollte) usw. Also, ich habe sehr viel gelernt (mein Anliegen war auch ein didaktisches). Aus ansonsten gut unterrichteten Quellen hört man, dass das stimmt, was der Film sagt, und dass er außerdem viel ganz neues Material zeigt, dass es sonst noch nie zu sehen gab. Und die Frage nach der Dynamik von Gewalt interessiert nicht nur für China. Ein prima Film. Da nicht alles Material reinpasste, haben sie es auf eine Website gepackt: www.morningsun.org

Am Samstag dann noch Goff in der Wüste. Filmisch nicht so der Bringer, aber die unglaublichsten Gebäude waren da zu sehen! Es blieb einem die Sprache weg. Auch hierzu gibt es eine Website: www.bruce-goff-film.com, auf der man sich alle Häuser nochmal angucken kann. Der Regisseur meinte dann, es sei ja so prima, dass man in Filme jetzt keine Infos mehr reinpacken muss, die könne man ja auf der Website parken, und im Film nur noch das Wesentliche zeigen. Naja, ein bisschen Info im Film wäre schon ganz nett gewesen.

Ganz zum Schluss hatte ich noch einen Schnipsel übrig und bin spontan (weil es noch Karten gab) in Marie et le loup gegangen (Franzosenfilm!) Das war ein guter Entschluss: ein reaktionärer Scheißfilm – Berlinale zum Abgewöhnen – da fällt einem der Abschied leichter. Perfekt.

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